Münchner Zentrum für antike Welten
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Dr. Ralph Birk

 

Postdoctoral Fellow:  April 2017 - August 2018
Focus Area: Constructions of Elites 

Forschungsprojekt

Erinnerungskulturen im ptolemäischen Ägypten

Im spätzeitlichen und ptolemäischen Ägypten wurden griechische Besucher Zeugen eines inszenierten Geschichtsbewusstseins der klerikalen Elite: Herodot (II.143) berichtet von seinem Besuch im ägyptischen Theben, wo ihm 345 Statuen im Tempel vorgeführt wurden. Generationen von Hohepriestern hätten dort Statuen aufstellen lassen, von denen „einer vom anderen stammte, ein Mann von einem Mann“. Diese Wendung vermittelt die Idee einer ununterbrochenen Genealogie von Priestern, die dem Vater im Amt folgen.

Das Forschungsvorhaben widmet sich der Konstruktion von Geschichtsbewusstsein durch dieses „genealogische Prinzip“ (Fitzenreiter). Ziel soll sein, Genealogien als Formen sozialer Erinnerung in einem konkreten zeitlichen (332–30 v. Chr.) und lokalen Kontext (Theben, Oberägypten) zusammenhängend zu untersuchen und diachron einzubetten. Genealogien sind kulturell konstruierte Modi des Vergangenheitsbezugs, die „am sozialen System der Verwandtschaft“ (Heck und Jahn) ein gemeinsames Gedächtnis ausbilden. Einen der nachhaltigsten Ansätze der Gedächtnisforschung haben Jan und Aleida Assmann entwickelt: das Konzept des alltagsrelevanten „kommunikativen“ und des alltagsenthobenen „kulturellen“ Gedächtnisses. Obwohl bei Assmann bereits teilweise angelegt, hat z. B. Erll die Durchdringung beider Gedächtnishorizonte einleuchtend demonstriert und von synchroner und diachroner Pluralität kommunikativer und kultureller Gedächtnisse gesprochen. In dieser breiteren Vision lassen sich auch Genealogien einordnen, die fundierende Erinnerungsakte, z. B. für ägyptische Priesterfamilien, darstellen können. Obwohl das kulturwissenschaftliche Terrain der Memory Studies maßgeblich durch die Arbeiten des Ägyptologen Jan Assmann beeinflusst worden ist, wurden in der Ägyptologie die weitgefächerten Ansätze dieses etablierten Forschungszweigs kaum umgesetzt. Durch die Untersuchung von Genealogien setzt sich das Vorhaben zum Ziel, den Forschungsstand der Memory Studies an ägyptologische Fragestellungen anzuschließen.

Anhand zweier Fragenkomplexe soll die Konstruktion von Erinnerungskulturen behandelt werden: 1. Wie manifestiert sich der Rekurs auf die Vergangenheit in den Privatdenkmälern dieser Zeit? Sind ausführliche Genealogien im ptolemäischen Theben damit Ausdruck sozialer Dynamiken und Teil von Legitimationsstrategien? 2. Ist die Umsetzung des „genealogischen Prinzips“ innerhalb des privaten Milieus umrissen, lässt sich nach dessen Verhältnis zu königlichen und göttlichen Genealogien fragen. Sind dabei Wechselwirkungen z. B. durch gemeinsame kultische Rahmenbedingungen zu beobachten oder stehen die drei großen Gruppen, Privatpersonen, Götter und Könige, unabhängig voneinander?
Das vorgeschlagene Forschungsvorhaben nimmt sich zum Ziel, als Gedächtnisgeschichte drei Sphären (privat, göttlich und königlich) des „genealogischen Prinzips“ im Vergleich zu untersuchen und folglich auch den gemeinsamen kulturellen Hintergrund dieser drei Formen zu erarbeiten. Kritisch soll dabei die Frage nach einer möglichen Alteritätserfahrung der ägyptischen Priesterelite im hellenistischen Ägypten hinterfragt werden, die als vermeintliche Ursache einer verstärkten Rückbesinnung auf die Ahnen angeführt wurde.