Münchner Zentrum für antike Welten
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Klassische Archäologie

Graffiti als Interaktionsform. Geritzte Inschriften in den Wohnhäusern Pompejis

Förderungszeitraum: April 2013 - März 2016

Im Laufe der Ausgrabung Pompejis wurden über 5600 Graffiti entdeckt und im Corpus Inscriptionum Latinarum IV ediert. Ein Großteil dieser Inschriften besteht jedoch aus nur einzelnen Wörtern, v. a. Namen, und wurde deshalb von der Forschung bisher weitestgehend vernachlässigt; stattdessen wandte man sich mit Vorliebe den Versinschriften, literarischen Zitaten und den erotischen Texten zu, die zu fantasievollen Anekdoten dramatischer Liebesgeschichten im Schatten des Vesuv anregten. Er ist in den letzten Jahren sind die geritzten Inschriften verstärkt in das Interesse der Altertumswissenschaften gerückt, wobei neuere Arbeiten eine Rekontextualisierung angestrebt haben, wie sie in der Epigrafik generell zum Trend geworden ist.
Den Pilotstudien von Henrik Mouritsen und Rebecca Benefiel folgend, ist mein Dissertationsprojekt die erste umfassende Arbeit zu den pompejanischen Graffiti, die auf Makroebene erstmals sämtliche im CIL IV edierten Graffiti auswertet und gleichzeitig, auf der Mikroebene, neue Fallstudien der Inschriften aus einzelnen Wohnkontexten beisteuert. Die Graffiti werden dabei als Form der Interaktion von Schreibern, namentlich genannten Adressaten und Dritten, aber auch im Sinne ihres Zusammenspiels mit dem Wanddekor und mit bereits vorhandenen Inschriften verstanden. Da die geritzten Inschriften keinerlei äußeren (inhaltlichen oder formalen) Vorgaben unterlagen, geben ihre Inhalte und ihre Verteilung Aufschluss über die Frequentierung und Wahrnehmung verschiedener Bereiche des Wohnhauses, aber auch über Sehgewohnheiten und Schreibpraktiken in der römischen Antike. Die Untersuchung beschränkt sich zwar auf die Graffiti als Materialgattung, bettet diese aber in ihren räumlichen, sozialen und kulturellen Kontext ein, da sie nicht unabhängig von anderen Inschriftenformen, Text- und Bildgattungen  betrachtet werden kann und Teil der medialen Landschaft war.
Der erste Teil der Arbeit besteht aus der Auswertung sämtlicher im CIL edierten Graffiti sowie aus mehreren Fallstudien pompejanischer Wohnhäuser, die vor Ort autopsiert wurden, um verschiedene Daten zu erheben und die Zugänglichkeit und Sichtbarkeit der Graffiti in ihrem räumlichen Kontext zu begreifen. Ein zweiter Teil erfasst kontextübergreifend verschiedene Phänomene, die zu einem verbesserten Verständnis des in Anlehnung an den „epigraphic habit“ geprägten Begriff des „graffiti habit“ beitragen sollen. So werden z. B. die Selbst-wahrnehmung der Schreiber, die Imitation von Motiven der Wandmalerei und der Einfluss anderer Inschriften und Bildmedien thematisiert. Zusätzlich gibt ein abschließendes Kapitel Überblick über die in den Graffiti genannten Personennamen, die trotz der Widrigkeiten der römischen Namensgebung Rückschlüsse auf die Klientel der Graffitischreiber und ihrer Adressaten geben. In Synthese will das Dissertationsprojekt einen Beitrag zu der bisher nicht umfassend behandelten Frage leisten, was Graffitischreiben als kulturelle Praktik war und bedeutete.