Münchner Zentrum für antike Welten
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Ägyptologie

Untersuchungen zur Lebenswelt einer Kultgemeinschaft im griechisch-römischen Ägypten am Beispiel von Tuna el-Gebel

Förderungsbeginn: November 2014
 
Das hier vorgestellte Projekt hat zum Ziel, erstmalig das Zusammenleben einer religiösen Organisation im ptolemäer- und römerzeitlichen Ägypten anhand archäologischer sowie textlicher Quellen am Beispiel des Siedlungsmodells von Tuna el-Gebel (Mittelägypten) zu erschließen. Der Lebensraum von Tuna el-Gebel mit seinen Turmhäusern soll als Musterbeispiel für hunderte zeitgleiche Siedlungen religiöser Kultgemeinschaften, deren Siedlungsformen und -netzwerke in der Ägyptologie nahezu unerforscht sind, untersucht werden.
Kultgemeinschaften waren im griechisch-römischen Ägypten für die kultische und wirtschaftliche Organisation sakraler Institutionen zuständig und sorgten für die soziale Absicherung ihrer Mitglieder. Sie sind durch schriftlich niedergelegte Vereinssatzungen, dokumentarische Quellen und Ritualtexte belegt, die Einblicke in ihre Kulthandlungen, Organisation, Funktionen und soziale Struktur gewähren. Ihre tatsächliche Lebenswelt, ihre Wohnsiedlungen, täglichen Verrichtungen und Subsistenzweisen sind allerdings meistens nicht bekannt. Diese mangelnde Verortung ihres Lebensraumes liegt an dem oft schlechten Erhaltungszustand und fehlenden siedlungsarchäologischen Untersuchungen der meisten urbanen Zentren in Ägypten. Ägyptologische Rekonstruktionen antiker Lebenswelten basieren daher meist auf den Hinterlassenschaften der altägyptischen Funerärkultur.
Der archäologische Befund in Tuna el-Gebel bietet die einzigartige Möglichkeit der Rekonstruktion des Zusammenlebens und der Lebenswelt einer religiösen Gemeinschaft: Im 7. Jh. v. Chr. wurde dort eine unterirdische Nekropole für deifizierte Tiere mit einem Heiligtum und Kultstellen gegründet. Entlang des Dromos, der vom Tempel in Richtung Osten führt, wurde zeitgleich eine Wohnsiedlung, der Kom el-Loli, mit über hundert Turmhäusern, Produktionsanlagen und Kulträumen für die lokale religiöse Gemeinschaft errichtet, die bis in die römische Epoche den Kult ausführte. Einige Mitglieder ließen sich sogar zwischen den Turmhäusern in reich ausgestatteten Elitegräbern bestatten. Anhand der materiellen Hinterlassenschaften dieser Turmhaussiedlung kann auf die dort lebenden Menschen, ihre sozialen Interaktionen, ihre spezielle Siedlungsform und ihr institutionelles Umfeld geschlossen werden. Darüber hinaus stehen Fragen nach dem Leben im Bereich einer Nekropole fernab einer Großstadt, dem Kontakt zur Außenwelt und der gesellschaftlichen Stellung der Kultgemeinschaft im Vordergrund. Das Projekt verzahnt hierbei archäologische, naturwissenschaftliche und philologische Methoden.
Im ersten Teil des Vorhabens wird die Siedlung der Kultgemeinschaft anhand siedlungs- und wirtschaftsarchäologischer Herangehensweisen untersucht. Die Auswertung erfolgt nach der von Jankuhn beschriebenen siedlungsarchäologischen Methode, die 1. den naturräumlichen Kontext, 2. die innere Siedlungsstruktur, d. h. räumliche Anlage und innere Organisation, und 3. die äußere Siedlungsstruktur, also die Einbindung in ein (über)regionales Siedlungsnetzwerk, sowie die Ausstattung mit Nekropolen und Rohstoffquellen in den Vordergrund stellt. Die Rekonstruktion des Zusammenlebens bezieht ausdrücklich auch textliche Quellen mit ein. Des Weiteren wird die Siedlung von Tuna el-Gebel als integraler Bestandteil der lokalen Kulttopographie verstanden. Im zweiten Teil des Projektes wird die Siedlungsstruktur der Kultgemeinschaft mit zeitgleichen, archäologisch und textlich gut dokumentierten Städten im Delta wie Buto und im Fayum wie Tebtynis verglichen. Ziel ist es für repräsentative Orte aus der griechisch-römischen Zeit distinktive Siedlungsformen und -nutzungen herauszuarbeiten, anhand derer Rückschlüsse auf die dort lebende Gesellschaft gezogen werden kann.