Münchner Zentrum für antike Welten
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Organisation of Memory and Forgetting

Antike Kulturen sind geprägt durch ein hohes Maß von Vergangenheitsbezogenheit, die in den Konstruktionen von Normen, Eliten und Ästhetiken ebenso wirksam wird wie in den Organisationen von Zusammenleben, Austausch oder Widerspruch. Eine zentrale Untersuchungsperspektive liegt daher in der Analyse, wie sich in diesen Kulturen die  Verwaltung der Präsenz von Vergangenheit vollzieht. Denn Präsenz von Vergangenem ist nicht nur unter dem Begriff der 'Memoria' zu fassen, sie ist auch Resultat von (mindestens teilweise) gesteuerten Prozessen des Vergessens, die über spektakuläre Akte wie die planmäßge Zerstörung von Objekten oder Bau- und Bildwerken und Formen der "damnatio memoriae" weit hinausgehen. Wie eine solche Organisation des Erinnerns und Vergessens in antiken Kulturen, in Relation zu deren Literalisierungs- und Monumentalisierungsgrad, vollzogen wird, ist ein wichtiges Untersuchungsfeld der School (und sie könnte e.g. einen völlig neuen Blick auf die berühmte "Geschichtslosigkeit" des alten Indien erlauben). Im einzelnen lassen sich dabei untersuchen:

i) Individuelle Formen des Erinnerns und Vergessens (etwa in den Briefcorpora eines Cicero oder Libanios);
ii) öffentliche Formen auf verschiedenen Ebenen, zu denen sowohl das weite Feld von rituellen und kultischen Ordnungen, spezifische kollektive Erinnerungsformen wie der Mythos als auch staatliche Memorialkulturen und –praktiken (bewusst geschaffene Gedächtnisorte, Inschriften, Archive), öffentliche Formen des Vergessens (planmäßige Zerstörung von Objekten sowie Bau- und Bildwerken der Vergangenheit, Formen der damnatio memoriae) gehören; 
iii) Verflechtungen von individuellen und öffentlichen Formen (etwa die Auseinandersetzung in Horazens Gedichten mit der untergegangenen Republik in Relation zum Augusteischen Staat);
iv) kulturelle Mechanismen des Erinnerns (Kanonisierung als Instrument, Wissensbestände im Kernbereich eines kulturellen Gedächtnisses zu plazieren, Archivierung als Bewahrung ohne Funktionalisierung, Löschung/Tilgung von Beständen; Rituale "in memory of" a religious founder); 
v) kulturelle Mechanismen in Relation zu sozialer oder politischer Macht (etwa Prozesse der Vernichtung von heterodoxen Texten); 
vi) Refunktionalisierung von Erinnerungsbeständen: Hier liegt ein Forschungsfeld, das über die mit dem Begriff der 'Musealisierung' verbundenen Forschungen hinaus etwa im Bereich der Spätantike im Zusammenwirken von Althistorie, Philologie und Archäologie bearbeitet werden kann: Ausgehend vom (oft religiösen) Bedeutungsverlust mancher Monumente kann untersucht werden, inwiefern die schiere Präsenz von Bauwerken wie dem Colosseum zum Erinnern (und Erklären) zwang und 'neue' Konstruktionen von Vergangenheit erzeugte.